Das „New Normal“ steht vor der Tür: Der flexiblen Verbindung von online- und offline-Elementen in der Gestaltung einer modernen Arbeitswelt gehört die Zukunft. Um sie aktiv zu gestalten, reicht aber ein einfaches Fortführen der aktuellen Erfahrungen mit Homeoffice und Remote-Leadership nicht aus. Vielmehr müssen beide Welten in ihren Anforderungen auf Prozess-, Team- und Individualebene klug zusammen gedacht werden. Daraus entsteht Hybrid Leadership: Die Fähigkeit, Teams und Organisationen in gemischten Kontexten sowohl online als auch offline situationsgerecht mit einem stimmigen Gesamtkonzept zu führen.
The New Normal: Remote genügt nicht
Die Analyse ist eindeutig: Es gibt kein Zurück in eine rein analoge Arbeitswelt mit ausschließlicher Büropräsenz. Zwar will die Mehrheit der Beschäftigten nach der Corona-Pandemie durchaus wieder zurück an einen Arbeitsplatz im Büro, die Mehrzahl wünscht sich jedoch eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit und Aufteilung zwischen Büropräsenz und Homeoffice. Der ohnehin durch variable Arbeitszeitmodelle bereits gestiegenen Komplexität in der Betriebsorganisation gesellen sich zukünftig noch weitere Variationen durch den Einbezug von Arbeitskräften hinzu, die zumindest teilweise auch remote mitarbeiten. Dabei sind der Vielfalt keine Grenzen gesetzt: Von der vollständig im Büro verbrachten 40h-Woche über die 20h-Teilzeitkraft, die 2 mal die Woche aus dem Homeoffice mitarbeitet bis zu projektbezogenen Mitarbeiter:innen, die gelegentlich im Büro anwesend sind, den Großteil der Zeit aber remote arbeiten, sind viele Modelle denkbar und werden von den Arbeitnehmer:innen so auch zukünftig gewünscht und eingefordert. Arbeitgeber und Führungskräfte tun daher gut daran, sich frühzeitig Gedanken über die adäquate Gestaltung hybrider Arbeitswelten zu machen.
Ausgelöst durch die Corona-Pandemie haben wir in den vergangenen Monaten bereits auf viele Herausforderungen in der reinen Remote-Arbeit reagiert. Doch reicht das, um auch in hybriden Kontexten bestehen zu können? Wer schon einmal eine hybride Veranstaltung moderiert hat, weiß: Es ist nicht damit getan, über einen Bildschirm einfach ein paar weitere Teilnehmer:innen dazuzuholen. Aus der Kombination von online- und offline entstehen ganz neue Abläufe, Gruppendynamiken und damit Moderationsanforderungen. Trotz vieler Vorteile für die Teilnehmenden: Das Ganze wird komplexer und anspruchsvoller für alle Beteiligten, weil sowohl online- als auch offline-Methoden miteinander kombiniert und zwei Sphären miteinander in Einklang gebracht werden müssen.
Diese Erfahrungen aus der Hybrid-Moderation lassen sich durchaus auch auf Arbeitskontexte übertragen. Auch hier gilt es, Menschen im offline- und im online-Raum miteinander zu verbinden. Die Anforderungen lassen sich auf drei Ebenen identifizieren: auf der Prozess-, der Team- und der Individualebene. Sie zu identifizieren und Lösungen dafür zu entwickeln, ist eine zentrale Aufgabe für Führungskräfte in einer hybriden Arbeitswelt. Dabei handelt es sich nicht um unlösbare Schwierigkeiten – aber durchaus um Fragestellungen, die zu ihrer klugen Bearbeitung einer systematischen und kollaborativen Herangehensweise bedürfen.
Prozessebene
Die von allen unterschriebene Geburtstagskarte ist ein harmloses Beispiel: Was früher in kurzer Zeit durch die Postfächer der Kolleg:innen gewandert ist, kann angesichts flexibler Arbeitsmodelle beliebig lange mit ungewissem Enddatum dauern. Kritisch wird es dann bei nicht digitalisierten Arbeitsprozessen wie z.B. Vertragsunterzeichnungen, Rechnungsfreigaben, internen Anträgen oder externen Posteingängen. Es lohnt sich, solche Arbeitsprozesse auf ihre Abhängigkeit von analoger Bearbeitung zu untersuchen, ihre Übertragung auf flexible online/offline-Abwicklung zu prüfen und ggfs. Regelungen für zeitkritische Prozesse zu treffen. Das gilt auch etwa für kommunikative Abläufe: Wie sind Erreichbarkeiten und Reaktionszeiten geregelt? Welche Kommunikationskanäle gelten im Präsenz- welche im Online-Raum und welche Informationen fließen über welche Kanäle? Auch Personalprozesse sollten hybrid gestaltet werden wie zum Beispiel das Onboarding.
Auch die benötigte Infrastruktur muss im hybriden Arbeitskontext neu gedacht werden: Haben noch alle Mitarbeiter:innen eigene Arbeitsplätze oder muss angesichts von reduzierter Präsenz im Büro über geteilte Arbeitsplätze gesprochen werden? Sind Besprechungsräume so ausgelegt, dass mehrere Teilnehmende im Raum akustisch und optisch professionell in eine Videokonferenz mit externen Teilnehmenden eingebunden werden können? Kann die Technik flexibel zwischen Büro und Home-Office eingesetzt werden? Welche Software wird zur ggfs. notwendigen Digitalisierung von Arbeitsprozessen benötigt?
Der Gestaltung von hybriden Arbeitsumgebungen wird in den nächsten Jahren sicher hoher Stellenwert beigemessen werden und wir werden sicher die ein oder andere Innovation in der Arbeitsplatzgestaltung sehen. Es lohnt sich daher auch hier, Anforderungen mit den Mitarbeitenden gemeinsam zu definieren und Raum- und Arbeitsplatzkonzepte unter Einbezug gemachter Erfahrungen Schritt für Schritt umzusetzen.
Teamebene
Schon aus den Erfahrungen mit Remote-Work wissen wir, dass „weiche“ Faktoren in der Zusammenarbeit eines Teams schwieriger zu gestalten sind. Zwischenmenschliche Beziehungen, Wahrnehmungen von Stimmungen, Bearbeitung von Konflikten – aufgrund der eingeschränkten Wahrnehmung über remote-Tools stellen diese Faktoren eine besondere Herausforderung dar. Hybride Kontexte erleichtern und verschärfen diese Problematik zugleich: Sie erleichtern zum einen, weil Teammitglieder eben doch wieder die Möglichkeit auf „realen“ Austausch haben. Sie verschärfen jedoch zum anderen, weil es in der individuellen Situation häufig zu einem Dynamikvorteil der sich in Präsenz treffenden Gruppe gegenüber den abwesenden oder lediglich remote zugeschalteten Teammitglieder kommt.
Das hybride Meeting, bei dem die im Besprechungsraum anwesenden Teilnehmenden untereinander Small Talk betreiben und miteinander lachen, während die online zugeschalteten Teilnehmenden eher außen vorbleiben, ist ein plastisches Beispiel für diesen Effekt. Aber auch die Situation, dass die Führungskraft spontan eine Information in den physischen Raum wirft und sich daraus eher Rückfragen und Gespräche ergeben als bei einer rein digital geteilten Information zeigt: Hybride Kommunikation im Team unterscheidet sich nochmal von ihren reinen offline- und remote-basierten Varianten.
Hier gilt es, ungleiche Dynamiken und Ungleichbehandlung zu vermeiden. Es empfiehlt sich, mit dem Team über solche Prozesse zu sprechen, klare und für das Team hilfreiche Definitionen von offline- und online-Anwesenheiten zu entwickeln und Wert darauf zu legen, dass alle gleichermaßen Gelegenheit zur Teilhabe an Teamdynamiken vor allem im offline-Kontext zu eröffnen. Ein Teamworkshop bietet dafür die Möglichkeit, gemeinsam getragene Vereinbarungen zu treffen. Zudem sollten Konflikte nach Möglichkeit nicht online ausgetragen werden.
Individualebene
Wie können im hybriden Arbeitsumfeld Nähe und Vertrauen gestärkt und die Bedürfnisse und Potentiale von Mitarbeitenden erkannt und gefördert werden? Schenkt man ersten Studien zum Führungsverhalten in der remote-Welt Glauben, besteht hier Handlungsbedarf. Auch hier lautet die gute Nachricht: Gegenüber der reinen remote-Führung bietet das hybride Umfeld wieder Gelegenheit, in direkten, persönlichen Austausch miteinander zu treten. Doch auch hier gilt es, Besonderheiten zu beachten: Zentral ist es auch hier, eine Ungleichbehandlung von Kolleg:innen zu vermeiden, die tendenziell eher remote mitarbeiten. Das gilt sowohl für die Art und Intensität der formalen und informellen Kommunikation als auch für die Rückkoppelung zu Teamprozessen. Dies ist übrigens nicht nur eine Aufgabe für Führungskräfte – das achtsame Mitdenken und Einbinden auch scheinbar entfernter Teammitglieder stellt eine wichtige Herausforderung für das gesamte Team dar und erfordert ebenso Empathie wie kommunikative Skills.
Dem Erkennen von Stärken und Schwächen, dem Eingehen darauf und der unmittelbaren Führung durch Feedback und Unterstützung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Durch seine remote-Anteile stellt das Arbeiten im hybriden Kontext zwar höhere Anforderungen an die Selbstführungskompetenzen von Mitarbeitenden. Gleichzeitig haben sie gegenüber ihren Führungskräften das Bedürfnis, gesehen und wahrgenommen zu werden. Gefragt ist dabei gleichermaßen Sensibilität und die Fähigkeit zum Zusammenbringen von Wahrnehmungen im digitalen und im „realen“ Raum sowie die Kompetenz, in beiden Sphären angemessen kommunizieren zu können.
Auch der Tendenz, dass Arbeitskräfte im Home Office eher dem Phänomenen der Entgrenzung ausgesetzt sind, muss im hybriden Kontext entgegengewirkt werden. Sonst entsteht auch hier eine ungleiche Dynamik zwischen Mitarbeitenden, deren Arbeitszeit und Workload klar durch ihre Präsenz im Büro definiert ist und denen, die im Homeoffice zu unüblichen Tageszeiten oder fragmentiert arbeiten und häufiger keine eindeutige Trennung zwischen Arbeit und Privatleben erleben. Maßnahmen zur mentalen Gesundheit können dabei allen Mitarbeiter:innen zu Gute kommen.
Insbesondere für Personalabteilungen wird sich die strategische Frage stellen, wie auch unter hybriden Rahmenbedingungen Mitarbeiter:innenbindung und Employee Experience gestaltet werden können. Auch Aspekte der Personalentwicklung wie z.B. die Qualifizierung mit den für hybride Arbeitskontexte notwendigen Kompetenzen berühren die je individuelle Ebene der Mitarbeiter:innen und müssen neu organisiert werden.
Ein neuer Start
Viele Teams und Organisationen werden sich nach der Pandemie in einem Zustand des Neustarts befinden: Nach Monaten der vornehmlich Remote-Zusammenarbeit werden die Menschen wieder zusammenkommen und sicher auch wieder die physische Nähe und den damit verbundenen Austausch schätzen. Ebenso sicher wird aber schnell auch die Frage aufkommen, wie die während der Pandemie erlebten Vorzüge von Homeoffice und Remote-Work beibehalten werden können. Dieser Moment bietet die Chance, die Zusammenarbeit neu zu organisieren.
Es empfiehlt es sich daher, zum (Neu)Start von hybrid organisierten Teams auf bewährte Formate der Teamentwicklung zurückzugreifen. Dabei gilt es, auf Prozess-, auf Team- und auf Individualebene Wünsche und Anpassungsbedarfe zu identifizieren und gemeinsame Absprachen über die zukünftige Form der Zusammenarbeit und Führung zu sprechen. Ein „100-Tage-Plan“ kann ein guter Einstieg in die gemeinsame Gestaltung der Aufgaben sein. Es kann dabei außerdem hilfreich sein, auf Erfahrungen der Mitarbeiter:innen außerhalb ihres beruflichen Kontextes wie etwa im Ehrenamt zurückzugreifen. So haben zum Beispiel viele soziale Organisationen zum Teil jahrelange Erfahrung in der Kombination aus haupt- und ehrenamtlichen Kräften und der Organisation von hybriden Arbeitsprozessen.
Operativ werden sich daraus Maßnahmen zur Prozessanpassung, neue Regeln der Zusammenarbeit, eine für hybride Erfordernisse geeignete Infrastruktur und Qualifikationen für Führungskräfte und Mitarbeitende ergeben. Personalabteilungen kommt dabei die Rolle zu, diese Teamentwicklungsprozesse zu initiieren, zu begleiten und den organisationsinternen Wissensaustausch zu diesen Themen zu organisieren. Sie unterstützen damit die Führungskräfte innerhalb der Organisation, ein stimmiges Gesamtkonzept modernen Leaderships mit Elementen der offline- und der online-Welt zu entwickeln.
Sie suchen Begleitung bei den nächsten Schritten in die neue Arbeitswelt? Wir helfen gern: Kontakt