Der Mensch in der Nachhaltigkeitstransformation
Die zweiten Hamburger Nachhaltigkeitsdialoge standen unter dem Titel „Der Mensch in der Nachhaltigkeitstransformation“. Wir haben uns mit den Fragen beschäftigt, wie wir Nachhaltigkeit im Unternehmen dauerhaft verankern und wie wir die Menschen begeistern und mitnehmen können. In sieben spannenden Beiträgen wurde sich dieser Herausforderung von verschiedenen Seiten genähert.
Wir begannen den Nachmittag mit der Keynote von Prof. Yvonne Glock (FRESENIUS Hochschulen), die über die Bedeutung von Ethik bei Führungskräften und Mitarbeitenden sprach. Ethisch korrektes Verhalten im Unternehmen gehe mit sozialer Verantwortungsübernahme einher. Es wurde bereits in vielen Studien nachgewiesen, dass ethische Verhaltensweisen bei Mitarbeitenden und Führungskräften, wie Mitarbeiterorientierung, Empathie, Fairness, Integrität und Machtteilung, zu positiven Effekten im Unternehmen führen (bspw. gestiegene Mitarbeiterzufriedenheit, Fluktuationsverringerung, verbesserte Leistung, mehr Motivation). Yvonne Glock schlug vor, bestimmte Diagnose- und Screening-Maßnahmen bereits im Einstellungsprozess einzusetzen, um die Passung der Personen zu den Unternehmenswerten sicherzustellen. Wichtig sei es auch, Platz für Gespräche über Ethik im Unternehmen zu schaffen, sowie regelmäßige Impulse und Workshops anzubieten, um die Menschen im Unternehmen auch nach Einstellung weiter zu schulen und zu sensibilisieren.
Motivatoren suchen und niedrigschwellige Angebote schaffen
Tim-Philipp Bruns von der Basler AG teilte in seinem Vortrag die Erfahrung, dass insbesondere innovationsfreudige Mitarbeitende als zentrale Multiplikatoren für das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen gewonnen werden können. Ihre Begeisterungsfähigkeit biete eine exzellente Ressource für kreative Problemlösungen, die sich wunderbar mit Nachhaltigkeit verbinden lässt. Basler nutzt dafür verschiedene niedrigschwellige Anreize, mit denen im Innovationsprozess mehr Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit geschaffen werden kann. Eines dieser Beispiele war die „Sustainability Minute“: Beim pitchen von Innovationsideen bekommen Teams, die auf den Nachhaltigkeitsaspekt ihrer Idee eingehen, eine Minute mehr Zeit. Um Potenziale für Nachhaltigkeit im Innovationsprozess aufzudecken, werden „Sustainable Value Proposition“-Workshops durchgeführt, in denen u.a. auch auf die SDGs eingegangen wird. Nachhaltigkeit wird dadurch als fester Bestandteil im Innovationsprozess verankert und ins Unternehmen getragen.
„Wo komme ich her? Was ist mein systemischer Kontext?“, waren Fragen, die Andreas Jenne von REHAU Industries SE an den Anfang seiner Präsentation stellte. Wie sich Nachhaltigkeit im Unternehmen vorantreiben und gestalten lässt, sei kontextabhängig. Für REHAU war die Einführung der Nachhaltigkeitsstrategie eine Weiterentwicklung der Unternehmensgeschichte. Trotzdem ist seine Erfahrung, dass dieses Projekt nur gemeinsam mit anderen als partnerschaftlicher Prozess verlaufen kann. Sowohl als Druck von außen (z.B. Unterzeichnung UN Global Compact, gesetzl. Berichterstattungspflichten), aber auch durch partnerschaftliche Zusammenarbeit über alle Abteilungen im Unternehmen hinweg. Wichtig sei es auch die Geschäftsführung einzubinden, damit Nachhaltigkeit nicht nur ein symbolischer Akt bleibt, sondern in das operative Geschäft übernommen wird. Diese Verantwortungsübernahme in der Geschäftsführung sende ein klares Signal an alle Mitarbeitenden und trage zur Bildung einer Corporate Culture für Nachhaltigkeit bei. Um diese Prozesse zu moderieren, braucht es aus der Sicht von Andreas Jenne vor allem Arbeit an sich selbst, der inneren Haltung und Einstellung – erst dann kann man überzeugend auftreten und auf andere zugehen. Seine Erfahrung ist, dass nach anfänglichen Impulsen und Aktionen durch die Nachhaltigkeitsbeauftragten, im weiteren Verlauf immer mehr Initiativen für Nachhaltigkeit durch die Mitarbeitenden selbst angestoßen werden.
Führung für Nachhaltigkeit ist unabhängig vom Jobtitel
Sonja Liedke von der REWE Group stellte in ihrer Session Strategien und Ansätze vor, wie eine Nachhaltigkeitskultur im Unternehmen geschaffen werden kann. Sie setzt dabei vor allem auf Informationsvermittlung über Schulungen und Veranstaltungen, aber auch über Projekte und Mitmachaktionen, wie Ideenwettbewerbe oder Mitarbeitendenevents, um Nachhaltigkeit als gelebten Wert in das Unternehmen zu tragen. Als besondere Herausforderung im Handel erlebt sie, die Menschen vor Ort, z.B. an der Kasse in den Märkten zu erreichen. Die Nachhaltigkeitsthemen müssen niedrigschwellig sein, immer an die Zielgruppe angepasst werden und einfach umsetzbar sein, damit sich auch diese Menschen im Unternehmen für das Thema begeistern können. Hier gab Sonja Liedke eine Vielzahl von Ansätzen an die Teilnehmenden weiter, wie Menschen unterschiedlich angesprochen werden können: Nachhaltigkeitslunch, Azubi-Wettbewerb, Radel Challenge, Nachhaltigkeitsbeirat, Weihnachtsaktionen, Exkursionen u.a.
In der Session „Leadership4Sustainability“ sprach Svenja Quitsch von der Heldenrat GmbH darüber, was eine Führungskraft heute benötigt, um die Nachhaltigkeitstransformation im Unternehmen voranzutreiben und zu verankern. Eine Hauptaussage von ihr war, dass sich moderne Führung der Unverhandelbarkeit der Klima-Herausforderung, also dem fixen Rahmen der physikalischen Gesetze, stellen muss. Zusätzlich passiere dies in Zeiten der sog. VUKA-Welt – einer Welt geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Um unter diesen Umständen effektiv führen zu können, benötigt es eine solide Kombination aus (Fach-)Wissen über Nachhaltigkeit und den Klimawandel, eine klar Werte-orientierte Haltung, sowie Kompetenzen, um widersprüchliche und unsichere Perspektiven aushalten und zusammenbringen zu können. Dieser Dreiklang sei jedoch nicht auf Führungskräfte beschränkt, sondern kann und soll von jeder Person im Unternehmen angenommen werden. Die Nachhaltigkeitstransformation lässt sich nur mit gemeinsamer Verantwortungsübernahme umsetzen.
Wir sind alle verbunden
Einen Einblick in die Nachhaltigkeitsbemühungen eines Verbandes der Sozialwirtschaft gab Stephanie Schultz vom PARITÄTischen Wohlfahrtverband (LV Ba-Wü). Eine besondere Herausforderung mit der sie sich konfrontiert sah, war die inhärente Verankerung der sozialen Nachhaltigkeit in einem sozialen Verband: „Wie erklärt man einem Fisch, was Wasser ist?“. Ihre Lösungsansätze dafür waren Impulse und Workshops von außen, um eine neue Sichtweise auf das Thema zu ermöglichen und einen Zugang für erste Schritte in Richtung Nachhaltigkeitsbemühungen zu schaffen. Wichtig war es im weiteren Verlauf einen Sinn für Gemeinschaft zu stiften, Raum für Austausch zu geben und gute Beispiele aus dem Verband, aber auch von außerhalb, aufzuzeigen. Innerhalb des Verbandes wurde die Möglichkeit geschaffen, eine zweijährige Ausbildung zum „Nachhaltigkeits-Coach“ zu absolvieren, um speziell den Klimaschutz in der sozialen Arbeit zu stärken. Des Weiteren wurde das Thema Nachhaltigkeit aber auch in die Lobbyarbeit des Verbandes aufgenommen und in Kooperationen mit anderen Verbänden und Akteuren klar nach außen kommuniziert.
Elizabeth Lange von der University of Technology Sydney nahm die Teilnehmenden mit auf eine Reise in die Weltsicht der indigenen Völker. „Wer bist du?“ bezieht sich in diesen Gruppen auf die Gemeinschaft, die Familie und das Land – man sieht sich nicht losgelöst von der Welt, die einen umgibt, sondern vertritt die Ansicht, dass alles miteinander untrennbar verbunden ist. Elizabeth Lange argumentierte, dass aus dieser Erkenntnis ein unausweichliches Gefühl von Verantwortung, Verpflichtung und Respekt entstehe, das zu erhalten, was uns erhält. Unsere Welt besteht aus Geschichten, an die wir als Kollektiv glauben. Wir aber befänden uns derzeit in einer Zeitwende, in der Geschichten neu geschrieben werden. Sie rief dazu auf, gemeinsam an einem neuen Weltbild zu arbeiten, indem wir die Beziehungen zu allem um uns herum annehmen. Eine Möglichkeit, um diesen Prozess einzuleiten, ist die beziehungsorientierte Führung, welche sich dadurch auszeichnet mit anderen gemeinsam Wege zu beschreiten und die Kolleg*innen als Teil deines sozialen Gefüges zu sehen. Um dies authentisch zu vertreten, müssen wir aber mehr von unserer wahren Person in den Arbeitskontext einbringen und das Ellenbogen-Wettbewerbsdenken hinter uns lassen.
Der Mensch im Mittelpunkt
In der Abschlussrunde fragte der Moderator des Tages Dr. Thomas Leppert von der Heldenrat GmbH verschiedene Personen nach ihren Eindrücken und Impulsen, die sie aus den Sessions mitgenommen haben. Der allgemeine Konsens war, dass die Nachhaltigkeitstransformation von uns Menschen lebt und wir den Menschen daher einen hohen Stellenwert beimessen müssen. Dies führt zu der Erkenntnis, dass wir für die vielen unterschiedlichen Personen, die uns im Arbeitskontext begegnen, auch viele verschiedene Formate und Angebote brauchen, um jeden Einzelnen zu erreichen, mitzunehmen und zu begeistern. Die Teilnehmenden gaben die Rückmeldung, dass es lohnenswert war, sich einen Nachmittag für den Austausch und den Dialog frei zu nehmen. Sie gingen mit vielen Ideen und konkreten Anwendungsbeispielen nach Hause, wie sie Nachhaltigkeit in ihren Arbeitsalltag, aber auch stärker strategisch ins Unternehmen bringen können und müssen.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Beteiligten, die diesen Nachmittag mit Ihren Fragen, Beiträgen und Anregungen zum Erfolg geführt haben!
Für alle, die nicht dabei waren, aber beim nächsten Mal gern mitmachen würden, empfehlen wir die Anmeldung zu unserem Newsletter.